Gefährliche Vereinfachungen über die fruchtbare Zeit im Zyklus
Eine Reihe von Vereinfachungen und Verallgemeinerungen über die fruchtbaren Tage im weiblichen Zyklus werden bis heute z.B. in Schullehrbüchern, Aufklärungsbroschüren oder Fragebögen veröffentlicht und verbreitet. Jugendliche und Frauen, die diese vereinfachten Informationen wahr nehmen und anwenden, sind dem Risiko ausgesetzt, unbeabsichtigt schwanger zu werden
Folgende Lehrinhalte müssen als gefährliches Halbwissen bezeichnet werden:
Ein normaler Zyklus habe eine Länge von 28 Tagen
Der Eisprung finde um den 14. Zyklustag statt
Die Fruchtbarkeit sei in der Mitte des Zyklus am höchsten
Eine Frau könne am besten schwanger werden, wenn sie in der Mitte zwischen zwei Periodenblutungen Geschlechtsverkehr habe
Die Samenzellen lebten 2-3 Tage
Ein Beispiel (weitere Beispiele siehe unter "Zitate: Gefährliche Lehrinhalte"): Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat in einer repräsentativen Studie zur Jugendsexualität auch verschiedene Wissensgebiete abgefragt. Mit der folgenden Frage sollte die "Kenntnis über den richtigen Empfängniszeitpunkt" erhoben werden:
"Wann ist die Möglichkeit, schwanger zu werden, am größten?"
Die als "richtig" geforderte Antwort lautete: "In der Mitte des Zyklus".
(Jugendsexualität.
Repräsentative Wiederholungsumfrage von Jungendlichen und ihren
Eltern, "Kenntnis vom Empfängniszeigpunkt", BZgA 2006,
S. 57)
Gefährliche Umsetzung dieses Halbwissens
Die Frage der BZgA ("Wann ist die Möglichkeit, schwanger zu werden, am größten?") führt bei "korrekter" Beantwortung ("In der Mitte des Zyklus") zu falschen Schlüssen. Von einer Mitte zu sprechen impliziert die Vorstellung von einer bestimmten gesamten Länge. Wird eine Zykluslänge von 28 Tagen gelehrt, kann man daraus leicht schlussfolgern, dass die Zeit der höchsten Fruchtbarkeit und der Eisprung ca. am 14. Tag stattfinden.
Verknüpft man nun diese vereinfachte Darstellung noch mit der falschen Information, Samenzellen könnten nur 2-3 Tage überleben, so wird aus zwei Vereinfachungen eine glatte Fehlinformation. Denn dann liegt die logische Schlussfolgerung nahe, die fruchtbare Zeit im Zyklus dauere etwa vom 11.- 15. Zyklustag.
Durchaus allgemein bekannt ist zwar, dass der Zyklus gewisse Unregelmäßigkeiten hat. Die meisten Frauen beziehen dies aber nur auf das verspätete oder verfrühte Auftreten ihrer Zyklusblutung - dass aber immer auch der Eisprung und die fruchtbare Phase "mitbetroffen" sind, ist den wenigsten bewußt.
Werden die oben dargestellten vereinfachten Informationen gut gelernt, so können aufmerksame Schüler eine Reihe von Schlussfolgerungen ziehen, die dann die Praxis der Empfängnisverhütung beeinflussen. Diese Schlussfolgerungen sind in der Bevölkerung häufig anzutreffen. Man muss sie allerdings als völlig unzureichend bezeichnen:
"Während der Blutung kann ich nicht schwanger werden."
"Ungeschützter Verkehr kann bis zum Ende der Blutung, also ggf. auch am 7. Zyklustag, sorglos stattfinden."
"Auch die Tage direkt nach der Blutung (7.-9. Zyklustag) sind noch relativ sicher."
"Nach dem Eisprung, also spätestens nach dem 18. Zyklustag, kann nichts mehr passieren."
"Die letzte Woche vor der Blutuung (22.-28. Zyklustag) ist absolut sicher."
"Gerade kein Kondom zur Hand - kein Problem, ich bekomme ja eh bald meine Tage."
In vielen Partnerschaften wird mit dem Kondom verhütet. Hier kommt es häufig zu der Situation, dass das Paar es sich gönnt, diesen oft als lästig empfundenen Empfängnisschutz am Zyklusanfang und am Zyklusende weg zu lassen.
Diese Beispiele zeigen, wie aus relativ harmlosen Ungenauigkeiten durchaus sehr risikobehaftete Schlußfolgerungen gezogen werden können. Leider scheinen diese Ungenauigkeiten bis heute zum festen Inventar der Biologiebücher und Aufklärungsmaterialien zu gehören.
Zitate: Gefährliche Lehrinhalte
"Weiblicher Geschlechtszyklus. Die Eireifung im Eierstock (Ovar) spielt sich in einem regelmäßig wiederkehrenden Zyklus von etwas 28 Tagen ab." (Aktuelles Biologiebuch Bayrische Gymnasien, Oberstufe: Linder: Biologie 20. Aufl. 1998)
"Der Follikel reift innerhalb von 14 Tagen; er platzt ...(Aktuelles Biologiebuch Bayrische Gymnasien, Oberstufe: Linder: Biologie 20. Aufl. 1998)
"Der Eisprung erfolgt in der Mitte des monatlichen Zyklus, bei einem 28-tägigen regelmäßigen Zyklus also etwas am 14. Tag. Dann ..." (Schülerduden Sexualität. Ein Sachlexikon für Schule, Ausbildung und Beruf, Dudenverlag 1997)
"Die weiblichen Sexualhormone sorgen dafür, dass alle 28 Tage in einem dieser Follikel eine reife Eizelle heranwächst. In der Mitte des Menstruationszyklus, also um den 14. Tag, ist es dann soweit: Die Eizelle ..." (Das Verhütungsbuch, Petra Neumayer, Foitzick Verlag)
"Jede Menstruation leitet einen neuen, vier Wochen dauernden Menstruationszyklus ein. Die ersten ..." (Ein Kind entsteht, L Nilsson, Mosaik-Verlag 1990)
Abbildung 3
Quelle: "Kenntnis vom Empfängniszeitpunkt", Jugendsexualität, Repräsentative Wiederholungsumfrage von Jungendlichen und ihren Eltern, BZgA 2006, S. 57:
"Können Sie mir anhand der folgenden Liste sagen, wann Ihrer Meinung nach die Möglichkeit, schwanger zu werden, am größten ist? - Während der Regelblutung - An den Tagen unmittelbar nach der Regelblutung - Etwa in der Mitte zwischen zwei Regelblutungen - An den Tagen unmittelbar vor der Regelblutung - Weiß nicht" |
"...Das löst den Eisprung in der Mitte eines jeden Zyklus aus..." (Liebe, Sex und Mehr. Alles, was ihr wissen sollt. Aus dem Kapitel "Was passiert eigentlich bei der Monatsblutung", S. 29. Chr. Wolfrum und P. Süß. DTV, Aktualisierte Neuauflage, 2005)
"...Während seiner Reifungszeit von 14 Tagen sondert das Eibläschen ständig das Hormon Östrogen ab. Ist das Eibläschen herangereift, platzt es und gibt das befruchtungsfähige Ei frei. Das Ei wird vom Eileiter aufgefangen und wandert nun etwa drei bis sechs Tage lang durch den Eileiter zur Gebärmutter. Nur während dieser Zeit kann das Ei von einer Samenzelle befruchtet werden..." (First Love. Ein Aufklärungsbuch für junge Leute. Kapitel 10, Fragen zur Menstruation. P. Mennen und D. Geister. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2004)
"...Viele Mädchen und Frauen spüren ihren Eisprung in der Zyklusmitte ganz deutlich [...] In den ersten 24 Stunden nach dem Eisprung ist die Eizelle besonders befruchtungsfähig." (First Love. Ein Aufklärungsbuch für junge Leute. Kapitel 10, Fragen zur Menstruation. P. Mennen und D. Geister. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2004)
"Weiblicher Zyklus: 1. bis 4. Tag: Menstruation. Etwa 14. Tag: Eisprung, mögliche Befruchtung." (Duden SMS, Biologie (5.-10. Klasse). Kap. Der Mensch; Fortpflanzung. Erschienen bei Paetec)
"Menstruationszyklus. Während der Eireifung im Follikel wird Östrogen gebildet, das ein starkes Wachstum der Gebärmutterschleimhaut bewirkt. Dieser Vorgang dauert etwa 14 Tage." (Biologie, Gymnasium, Sekundarstufe 2, Band 2. Kapitel Der Mensch. H. Blümel, Volk und Wissen, 1999)
"Die Menstruation tritt alle 28 Tage auf und dauert drei bis fünf Tage." (Biologie, Gymnasium, Sekundarstufe 2, Band 2. Kapitel Der Mensch. H. Blümel, Volk und Wissen, 1999)
"...und nach einem kurzen, aber dramatischen Signal des Hypophysen-Hormons LH am 14. Tag platzt." (Was ist Was. Unser Körper - von der Zelle bis zum Menschen, Seite 44. W. Tarnowski und K. Tarnowski. Tessloff, Nürnberg 2002)
"...die alle vier Wochen ein reifes Ei an einen der beiden Eileiter abgeben." (Was ist Was. Unser Körper - von der Zelle bis zum Menschen, Seite 45. W. Tarnowski und K. Tarnowski. Tessloff, Nürnberg 2002)
"...Alle vier Wochen wird von den Eierstöcken der Frau ein reifes Ei herausgeschleudert [...]. Hat eine Frau sich in dieser Zeit mit einem Mann vereinigt [...], dann kann eine der Samenzellen durch die Eihülle hindurch ins Innere der Eizelle eindringen und diese befruchten." (Was ist Was. Unser Körper - von der Zelle bis zum Menschen, Seite 45. W. Tarnowski und K. Tarnowski. Tessloff, Nürnberg 2002)